3D-Modelle historischer Sammlungsobjekte

Nadja Tata

Von Nadja Tata
13.02.2023 | 5 Minuten Lesezeit

Was haben ein Malachit, das Nest eines Webervogels, eine Albino-Dohle und ein Herkuleskäfer gemeinsam? Sie alle sind Teil unseres Datensatzes von 3D-Modellen historischer Sammlungsobjekte, die im September 2022 erstmalig im Datenportal des Museums unter einer freien Lizenz veröffentlicht wurden.

Screenshot des Trailers zum Datenportal mit 3D-Modell des Nests eines Weißstirnwebervogels
Screenshot des Trailers zum Datenportal mit 3D-Modell des Nests eines Weißstirnwebervogels

Sehr regelmäßig erhalten wir in der Mediasphere For Nature Anfragen nach 3D-Modellen unterschiedlichster Sammlungsobjekte. Oft werden Insekten nachgefragt, manchmal aber auch Vögel und Säugetiere, z.B. für Kunstprojekte, Ausstellungen, Animationen oder digitale Lehrmaterialien.

Der Startschuss für unsere 3D-Kooperation mit dem Kreativstudio relative.berlin fiel im Frühjahr 2019 mit ihrer Anfrage nach einer Schleiereule für das animierte Musikvideo MONOH – With Attitude . Da wir im Zuge unserer Sammlungserschließung und Digitalisierung nicht standardmäßig 3D-Modelle unserer Objekte erstellen, aber an dem Prozess interessiert waren, luden wir das Team von relative.berlin ein, die Schleiereule selbst zu scannen.

Zusammen mit unserem Sammlungspfleger der Vogelsammlung, Pascal Eckhoff, stellte die Mediasphere For Nature dem Team in unseren Räumlichkeiten ein sächsisches Schleiereulenweibchen von 1845 plus einen kompletten Federbeleg dieser Art für ihre Photogrammetrie-Aufnahmen zur Verfügung. Die animierte Eule wurde im Musikvideo zum heimlichen Star. Wir erhielten im Gegenzug alle Fotos, Videos und das 3D-Modell zur freien Nutzung.

3D-Digitalisierung der Schleiereule per Photogrammetrie mit dem Team von relative.berlin und unserem Sammlungspfleger Pascal, Fotos von links nach rechts: relative.berlin, Timur Coban & Nadja Tata / MfN
3D-Digitalisierung der Schleiereule per Photogrammetrie mit dem Team von relative.berlin und unserem Sammlungspfleger Pascal, Fotos von links nach rechts: relative.berlin, Timur Coban & Nadja Tata / MfN

In den vergangenen Jahren hat sich das Museum im Zuge der Sammlungserschließung und Technologieentwicklung zunehmend mehr mit dem Medienformat 3D beschäftigt. Mit dem DISC3D-Scanner für Insekten, zwei CT-Scannern, Oberflächenhandscannern und weiteren photogrammetrischen Systemen haben wir die Möglichkeit, 3D-Aufnahmen für unterschiedliche Zwecke anzufertigen. Die 3D-Digitalisierung als Dienstleistung befindet sich jedoch noch im Aufbau. Eine besondere Herausforderung sind dabei hochqualitative Aufnahmen von Objekten mit besonders haarigen, glänzenden oder fedrigen Oberflächen – und das sind im Museum für Naturkunde sehr viele…

Historische haarige und fedrige Freunde, von denen nicht alle perfekt geeignet sind für einen 3D-Scan mittels Photogrammetrie, Fotos: Nadja Tata / MfN
Historische haarige und fedrige Freunde, von denen nicht alle perfekt geeignet sind für einen 3D-Scan mittels Photogrammetrie, Fotos: Nadja Tata / MfN

Gemeinsam mit unserem Kooperationspartner relative.berlin kamen wir auf die Idee, die Schleiereule als Ausgangspunkt für eine Photogrammetrie-basierte Reise in 3D durch unsere Sammlung zu nehmen. Alle 3D-Modellen sollten unter einer freien Lizenz (CC-BY) über unser Datenportal der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Neben verschiedenen Vögeln kamen auch Objekte wie Mineralien, Insekten, Säugetiere, Reptilien und Archivalien aus der Historischen Bild- und Schriftgutsammlung des Hauses in die engere Auswahl. Gemeinsam mit den Erschließungsmanagerinnen und Sammlungspfleger*innen der verschiedenen Teilsammlungen machten wir uns auf die Suche nach Objekten, die ganz klaren Kriterien entsprachen:

- von historischer Bedeutung

- möglichst vollständige Metadaten zu Fundort, Sammler & Jahr

- Größe idealerweise zwischen 10 und 50 cm

- keine metallisch glänzenden, transparenten oder komplett weißen Oberflächen

- keine einzeln abstehenden Haare oder Federn

Ca. 8 cm große peruanische Wegwespe vor und während ihres Fotoshoots auf dem Drehteller, Fotos: Nadja Tata & Christel Clerc / MfN
Ca. 8 cm große peruanische Wegwespe vor und während ihres Fotoshoots auf dem Drehteller, Fotos: Nadja Tata & Christel Clerc / MfN

Nicht alle ausgewählten Tiere erfüllten die Anforderungen gleichermaßen gut. Die peruanische Wegwespe Pepsis hyperion mit dem schmerzhaftesten Stich aller Zeiten erwies sich auch während der Aufnahmen und in der Nachbearbeitung als durchaus „schmerzhaft“: ihre geringe Größe (als Wespe ist sie eine Riesin, aber als Digitalisierungsobjekt eher klein), die halb transparenten Flügel und ihr schwarz schimmernder Körper stellten das relative-Team gleich am ersten Aufnahmetag vor besondere Herausforderungen. Das Ergebnis beeindruckt umso mehr!

relative.berlin kam erstmals im September 2021 mit einem eigens für Photogrammetrie-Aufnahmen optimierten Rig samt Beleuchtung, Kamera, Drehteller und Props ins Museum. Innerhalb von vier Wochen folgten drei weitere Scantage bei uns im Mediasphere-Büro, an denen sie unter anderem ein riesiges Tritonshorn aus der Molluskensammlung, einen alienartigen Goethit, ein historisches Lehrmodell eines Strahlentierches aus dem Archiv, einen sehr stachligen Igel, ein flauschiges Tibetbärjunges und sogar Jacob, den Vasapapagei Alexander von Humboldts, scannten. In der Projektbeschreibung erklärt relative.berlin interessante Details zum Photogrammetrieprozess und der anschließenden Modellierung.

Diese Kandidaten standen zwar im Rampenlicht, konnten aber aufgrund zu flauschiger oder borstiger Fell- und Federstruktur am Ende als 3D-Modell nicht überzeugen. Fotos: (1-4) Christel Clerc / MfN, (5-6) Marc-André Müller / relative.berlin
Diese Kandidaten standen zwar im Rampenlicht, konnten aber aufgrund zu flauschiger oder borstiger Fell- und Federstruktur am Ende als 3D-Modell nicht überzeugen. Fotos: (1-4) Christel Clerc / MfN, (5-6) Marc-André Müller / relative.berlin

Fehlerkultur zu leben, heißt auch, offen mit den Misserfolgen umzugehen: Jacobs wenige, da im zweiten Weltkrieg beschädigte, aber sehr flaumige Brustfedern erwiesen sich als ebenso ungeeignet für die 3D-Modellierung wie die Igelstacheln. Gleiches galt für die abstehenden Borsten des für ein Säugetier zwar recht fellarmen, aber dennoch zu haarigen Borstengürteltiers. Auch der kleine Kragenbär konnte trotz Babyface als 3D-Modell nicht überzeugen.

Bildschirmaufnahme des Tibetbärkopfs in der Photogrammetrie-Software „Reality Capture“ – als untexturierter Rohscan, Screenshot: relative.berlin
Bildschirmaufnahme des Tibetbärkopfs in der Photogrammetrie-Software „Reality Capture“ – als untexturierter Rohscan, Screenshot: relative.berlin

Umso gelungener wurde das aus Steinpappe bestehende Lehrmodell einer Radiolarienart (einzelliges Strahlentierchen), die erstmalig vom Potsdamer Zoologen Ernst Haeckel entdeckt, beschrieben und gezeichnet wurde. Das strahlenförmige Innenskelett aus Siliciumdioxid von Stylodictya multispina lässt sich anhand dieses Modells von 1884 in 3D besonders gut studieren. Faszinierend ist auch die Ansicht des Gelbschopflunds, den der Dichter und Naturforscher Adelbert von Chamisso von seiner dreijährigen Expedition an Bord des russischen Kriegsschiffes „Rurik“ zwischen 1815 und 1818 mit zurück nach Deutschland brachte.

Historisches Lehrmodell einer Radiolarie und ein Goethit auf dem Drehteller, Fotos: Christel Clerc / MfN
Historisches Lehrmodell einer Radiolarie und ein Goethit auf dem Drehteller, Fotos: Christel Clerc / MfN

Mineralienfreunde können sich neben einem Goethit (ein eisenhaltiges Mineral) auch einen Rundumblick eines Malachits aus der sogenannten „Alten Russischen Staatssammlung“ verschaffen, die 1803 vom russischen Zar Alexander I an das Königliche Mineralienkabinett in Berlin, einer der Vorläuferinstitutionen des heutigen Museums für Naturkunde, übergeben wurde. Als einziges Säugetier schaffte es ein juveniles Siebenbinden-Gürteltier dank seiner geringen Behaarung in die Endauswahl.

Junges Männchen eines Siebenbinden-Gürteltiers aus Brasilien und ein russischer Malachit, Fotos: Nadja Tata & Christel Clerc / MfN
Junges Männchen eines Siebenbinden-Gürteltiers aus Brasilien und ein russischer Malachit, Fotos: Nadja Tata & Christel Clerc / MfN

Eine gewisse Berühmtheit aus diesem Datensatz erlangte ein kolumbianischer Herkuleskäfer mit einer stolzen Gesamtlänge von fast 13 cm. Er wurde im Herbst 2022 zum „Gesicht“ des 3D-Hackathons Creating New Dimensions , für den wir zusammen mit den NFDI -Konsortien und der AG3D Mitorganisator, Datengeber und Austragungsort für das Finale und die Preisverleihung waren.

Der Käfer ist außerdem Teil der VR-Experience in „Theatrum Radix“, einem transdisziplinären Ausstellungsprojekt von Marlene Bart, welches im Mai 2023 im Tieranatomischen Theater der Humboldt-Universität zu Berlin seine Pforten öffnen wird und es bereits jetzt auf die Shortlist des VR Kunstpreises der DKB geschafft hat.

Jan Panniger, Präparator am Museum, beim Handling des sehr fragilen Herkuleskäfers; 3D-Drucke und Postkarte für den Hackathon „Creating New Dimensions“ und Käfer beim Fotoshooting, Fotos: Nadja Tata / MfN
Jan Panniger, Präparator am Museum, beim Handling des sehr fragilen Herkuleskäfers; 3D-Drucke und Postkarte für den Hackathon „Creating New Dimensions“ und Käfer beim Fotoshooting, Fotos: Nadja Tata / MfN

Ein weiteres Highlight aus der Kooperation mit relative.berlin ist der Trailer zum Datenportal, der alle entstandenen 3D-Modelle und die dazugehörigen Metadaten in Szene setzt. Untermalt von Musik, die Dominik Eulberg – DJ, Künstler, Produzent, Biologe und Gastwissenschaftler an unserem Museum – speziell für diesen Trailer arrangiert hat, reisen wir in einem virtuellen Ausstellungsraum von Objekt zu Objekt, quer durch die verschiedenen Teilsammlungen des Museums.



Wenn auch Ihr Interesse daran habt, die 3D-Modelle aus unserer Sammlung zu nutzen, besucht unser Datenportal ! Sie alle stehen in verschiedenen Qualitätsstufen mit ausführlichen Beschreibungen zum Objekt und einigen zusätzlichen Fotos zum Download zur Verfügung. Wir freuen uns über Euer Feedback und natürlich auch über eine Rückmeldung, wo sie überall zum Einsatz gekommen sind!