Digitalisierung zum Anfassen – Teil 2

Tina Schneider

Von Tina Schneider
18.08.2022 | 5 Minuten Lesezeit

Dem barrierefreien Tasterlebnis auf der Spur, geht es für das Team der Mediasphere For Nature weiter mit der Entwicklung eines hochskalierten taktilen Waldmistkäfer-Modells. Dieser Beitrag zeigt aktuelle Projekt-Entwicklungen und liefert einen Ausblick auf die finale Projektstufe. 

Wie im ersten Blogbeitrag berichtet, fand nach der Testphase mit einem frühen Prototypen in der ersten Jahreshälfte von 2022 der Feinschliff am digitalen Modell statt (Abbildung 1).

Abbildung 1: Feinarbeiten am 3D-Waldmistkäfermodell; Foto: werk5 GmbH
Abbildung 1: Feinarbeiten am 3D-Waldmistkäfermodell; Foto: werk5 GmbH

Arbeiten am Original-Käfer auf Seiten des Museums 

Nachdem am digitalen 3D-Modell des Museums bereits erste Feinarbeiten bei werk5 stattfanden, wie z.B. das Schließen vorhandener Löcher, stand es nun noch an, das Abbild des Modells mit dem des Original-Käfers abzugleichen. Um dies zu ermöglichen, wurden mit Hilfe der Digitalisierungs-Expert*innen des Museums einige hochaufgelöste Aufnahmen des Tieres erstellt. Diese Fotografien helfen dabei, selbst filigranste Körperstellen zu erkennen und am 3D-Modell entsprechend angleichen zu können (Abbildungen 2-3).

Abbildungen 2-3: Unser Digitalisierungsexperte Bernhard Schurian bereitet den Original-Käfer für den Erfassungsprozess vor; Fotos: MfN, Marc Jerusel
Abbildungen 2-3: Unser Digitalisierungsexperte Bernhard Schurian bereitet den Original-Käfer für den Erfassungsprozess vor; Fotos: MfN, Marc Jerusel

Das Ergebnis der Aufnahmen (Abbildung 4) befähigt das Modellbauerteam, den 1:1 Abgleich von Originalkäfer und 3D-Modell durchzuführen, um so den digitalen Zwilling des Käfers möglichst lebensecht nachzubauen.

Abbildungen 4-5: links: der vom Erschließungsteam aufgenomme Waldmistkäfer; rechts: das von werk5 GmbH bearbeitete 3D-Modell mit ausgestreckten Beinen; Abbildungen: MfN, Eran Wolff und werk5 GmbH
Abbildungen 4-5: links: der vom Erschließungsteam aufgenomme Waldmistkäfer; rechts: das von werk5 GmbH bearbeitete 3D-Modell mit ausgestreckten Beinen; Abbildungen: MfN, Eran Wolff und werk5 GmbH

Auch in der Käfersammlung des Museums wurden weitere Recherchen für das Projekt durchgeführt. Geplant wird u.a., jene Stellen sensorisch am Käfermodell zu kennzeichnen, an denen die mechanische Lauterzeugung des Tieres stattfindet. Anbei die Beispielaufnahme eins Waldmistkäfers aus dem Tierstimmenarchiv des Museums:

Aufnahme: MfN, Karl-Heinz Frommolt - Waldmistkäfer Stridulationsgeräusch

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Lizensiert unter: CC BY-SA | Im Datenportal öffnen

Diese Form der Lauterzeugung wird Stridulation genannt und geschieht durch das Aneinanderreiben zweier beweglicher Körperteile: der Schrillleiste und der Schrillkante. Dabei streicht die gezahnte Schrillleiste über die hervorstehende Schrillkante. Damit die Stellen für die Modellbauer entsprechend korrekt gekennzeichnet werden können, wurde in der Käfersammlung genau mit Hilfe eines Binokularmikroskops am Tier untersucht. Unten abgebildet eine Schautafel, die das Prinzip Lauterzeugung durch Stridulation vereinfacht anhand des Beispiels eines Grashüpfers veranschaulicht. 

Abbildung 6: Lauterzeugung eines Insekts; Foto: MfN, Nadja Tata
Abbildung 6: Lauterzeugung eines Insekts; Foto: MfN, Nadja Tata

Gestaltung von Modell und Taststation

Ausgehend von den gesammelten Erfahrungen mit dem ersten Prototyp wurde die Gestaltung des Käfermodells und der gesamten Taststation fortgeführt. Um den einfachen mobilen Einsatz des Modells sowohl innerhalb als auch außerhalb des Museums zu ermöglichen, wurde eine kompakte Station entworfen. Die komplette Elektronik ist im kleinen Sockel direkt unter dem Käfermodell untergebracht.

Abbildung 7: Taststation mit noch nicht finalen Maßen, Seitenansicht; Darstellung: werk5 GmbH
Abbildung 7: Taststation mit noch nicht finalen Maßen, Seitenansicht; Darstellung: werk5 GmbH

Layout und Beschriftung der Taststation wurden mit der Expertin für Barrierefreiheit, Ellen Schweizer, entworfen. Die Station ist unterteilt in eine waagerechte Fläche, auf der Kopfhörer und dazugehörige Halterung angebracht werden. Darunter befindet das leicht abgewinkelte Schriftfeld, welches zukünftig noch mit Braille- und Schwarzschrift sowie vereinzelten Sensorik-Punkten versehen wird.

Abbildung 8: Taststation mit noch leerem, leicht abgewinkelten Schriftfeld; Darstellung: werk5 GmbH
Abbildung 8: Taststation mit noch leerem, leicht abgewinkelten Schriftfeld; Darstellung: werk5 GmbH

Um die Attraktivität des Modells auch für sehende Nutzer*innen zu erhöhen, hat man eine Farbe ausgewählt, die dem Original-Käfer möglichst nahekommt. Während wir bei einem früheren Krokodil-Tastmodell noch auf eine neutrale Farbe setzten, wird der Käfer in einem naturähnlichen schwarzen Ton gefertigt (Abbildungen 9-10).

Abbildungen 9-10: links: graues Krokodilmodell; rechts: schwarzes Käfermodell; Foto und Darstellung: Hwa Ja Götz, MfN und werk5 GmbH
Abbildungen 9-10: links: graues Krokodilmodell; rechts: schwarzes Käfermodell; Foto und Darstellung: Hwa Ja Götz, MfN und werk5 GmbH

Nach diversen Tests haben wir uns beim Modellbau für einen Materialmix entschieden, wobei der größte Teil des Käferkörpers aus einem robusten mineralisch-organischen Verbundwerkstoff bestehen wird. Dieser Teil des Modells wird mithilfe einer großen Spezial-Fräsmaschine gefertigt.

Abbildungen 11-12: Pressen der einzelnen Schichten und stabile Schalenhälfte; Fotos: werk5 GmbH
Abbildungen 11-12: Pressen der einzelnen Schichten und stabile Schalenhälfte; Fotos: werk5 GmbH

Nach dem Fräsen der einzelnen Schichten werden diese so lange zusammengepresst, bis sich eine stabile Form ergibt (Abbildungen 11-12). Hierbei wird der Hauptkörper des Käfers in eine obere und untere Schalenhälfte unterteilt. Beide werden in einem späteren Vorgang zusammengefügt.

Abbildung 13: Die große Fräsmaschine in Aktion; Foto: werk5 GmbH
Abbildung 13: Die große Fräsmaschine in Aktion; Foto: werk5 GmbH

Die Feinarbeit an den Schalenhälften wird anschließend mit der riesigen automatisierten Fräsmaschine ausgeführt. Vor dem Fräsvorgang werden sämtliche Voreinstellungen im zugehörigen komplexen Steuerungsprogramm eingestellt. 

Abbildung 14: Software zur Bedienung der Fräsmaschine; Foto: werk5 GmbH
Abbildung 14: Software zur Bedienung der Fräsmaschine; Foto: werk5 GmbH

Feinteilige Körperstellen des Käfermodells werden nicht anhand der Fräsmaschine, sondern im 3D-Druckverfahren erstellt. Das hierfür verwendete Material ist ein langkettiger zäher Kunststoff, dessen Haptik ein wenig an Kabelbinder-Material erinnert. Das Material ist robust, aber zugleich leicht biegsam, was in erster Linie bei dünneren Stellen wie den Beinen oder Antennen die Abbruchgefahr mindern soll. Besonders an den mit Krallen versehenen Fußenden des Käfers fühlte sich das Material nach dem ersten Testdruck trotz der beträchtlichen Hochskalierung immer noch zu filigran und unangenehm spitz an. Um eine Verletzungsgefahr beim Tasten auszuschließen, wurden die Stellen leicht aufgedickt. An diesen Stellen weichen die Größenverhältnisse daher nun leicht vom Original-Käfer ab. Anbei (Abbildung 15) zu sehen einige Testdrucke der Beine. Das Material wird nach der Fertigstellung noch schwarz lackiert, um farblich mit dem gefrästen Hauptteil des Modells übereinzustimmen.

Abbildung 15: Testdrucke des Käferbeins; Foto: werk5 GmbH
Abbildung 15: Testdrucke des Käferbeins; Foto: werk5 GmbH

Textarbeit und Ausblick

Nach Eingrenzung der Themenkomplexe für die Audio-Texte, wurden Änderungs- und Anpassungsvorschläge der Nutzer*innen-Testgruppe eingearbeitet. So wurden unter anderem der komplette Einführungsteil überarbeitet und zwei neue Themenbereiche hinzugefügt. Die Texte werden u.a. durch die Bildungsabteilung und Käferabteilung des Museums sowie vom Modellbau-Team und der Expertin für Barrierefreiheit geprüft. Auch eine Ägyptologin hat sich mancher Textabschnitte angenommen – weshalb, wird an dieser Stelle noch nicht verraten.

Im nächsten Blogbeitrag werden wir von der Finalisierung des Käfermodells und der gesamten Taststation inklusive Einbau der Sensorik berichten. In einem weiteren Workshop mit der Nutzer*innen-Testgruppe werden die eingebaute Sensorik sowie der aktuelle Stand der Audio-Texte getestet.